Feedback – der Fluch unserer Zeit oder eine Chance?

Egal, was ich lese oder höre, überall spricht man von „Feedback geben“ und „Feedback nehmen“.

Früher haben die Vorgesetzten, die Eltern und Lehrer kritisiert oder uns zurecht gewiesen. Heute gibt man oder erhält man nur ein „Feedback“. Damals, als man noch kritisieren durfte, hat der Kritisierte die Möglichkeit, sich zu wehren. Er wurde sogar gefragt: „Haben Sie dazu etwas zu sagen?“. Beim Feedback gibt es diese Möglichkeit nicht mehr. Denn das Feedback soll angenommen werden.“, d.h. ohne Widerstand und Widerrede hingenommen und akzeptiert werden.

Was ist das eigentlich, dieses Feedback?
Dieser Begriff wurde in USA „geboren“. Der Vater des Begriffes ist Kurt Tsadek Lewin. Feedback heißt so viel wie Rückkopplung oder Rückmeldung und kommt ursprünglich aus der Kybernetik. Und so wird dieser Begriff sowohl in der Technik (z.B. Sensoren) wie auch in den Sozialwissenschaften benutzt. Hier eine von vielen Feedbackdefinitionen in der Kommunikation: Jemandem ein Feedback geben heißt ihm eine Rückmeldung machen, wie er als Person, wie sein Verhalten, sein Reden, sein Tun im eigenen Fühlen, Empfinden, Urteilen ankommt. [1]
Nach dieser Definition geht es also nicht darum, wer eine Person wirklich ist, sondern nur wie das wirkt, was sie tut oder sagt. Es ist so verstanden, die richtige Art und Weise, den Partner über das eigene Empfinden zu informieren.
Können wir aber Feedback geben? Können und wollen wir in kritischen Situationen wirklich über unser Empfinden sprechen?

Kulturelle Unterschiede zwischen USA und Europa

Nachdem dieser Begriff aus den USA nach Europa gekommen ist, schien es mir nötig, das kulturelle Fundament anzuschauen, in dem dieser Begriff eingebettet ist.

 

 

 

Nach Emily Slate und Dr. Schroll-Machl sehen die kulturstandards der Nordamerikaner[2] etwa so aus:

Gleichheitsdenken:

Amerikaner sind von der Idee der Chancengleichheit und den damit verbundenen  Möglichkeiten zum Aufstieg und zur Karriere überzeugt: Harte Arbeit bringt Erfolg.“

Handlungsorientierung:

„Amerikaner sind sehr aktive und energievolle Menschen. Man hat eine Menge Aktivitäten – beruflich und privat. Dabei steht die Beschäftigung mit konkreten und praktischen Dingen mehr  im Vordergrund als die mit Ideen, Idealen und abstrakten Fragestellungen.“

Individualismus:                    

„Selbstverantwortung, Eigeninitiative und Selbständigkeit werden stark betont und aufs Äußerste  geschätzt. Die faire Berücksichtigung individueller Meinungen ist eine Forderung bei Meetings  und Gruppenentscheidungen: Jeder soll und will sich einbringen.“

Bedürfnis nach sozialer Anerkennung:

„soziale Rückmeldungen sind für das Selbstbild bzw. die Selbsteinschätzung von hoher Bedeutung.Die beteiligten Personen, nicht nur die Sache, haben einen hohen Stellenwert in der Kommunikation“                                 

Diese amerikanischen Kulturstandards sind historisch bedingt
„Nordamerika ist ein Einwanderungsland und maßgeblich von den protestantischen Ideen (besonders der Puritaner) geprägt. Puritanisch, bedeutet u. a. das Leben moralisch und aktiv zu gestalten; doing statt being. Einwanderung bedeutet Leben im Kontrast zu den Herkunftsländern, Bruch mit der eigenen Vergangenheit und der eigenen Herkunft, was an sich eine Rebellion gegen Autorität und Unterdrückung war.“ Lt. Emily Slate und Schroll-Machl beruhen darauf die Gleichheit aller und der Individualismus. Die Einwanderungskultur beinhaltet noch eine Erkenntnis: Lebe gut mit dem Fremden, denn im äußersten Fall, z.B. in einem harten Winter ist er der Einzige, der dir hilft. Diese Einstellung reicht nicht für tiefe Freundschaften aus, aber für einen fairen Umgang mit den Mitmenschen durchaus.

Europäische Kultur

Kulturelle Standards Europa

Ich kenne keine „europäische Kulturstandards“, aber die historischen Unterschiede zu Nordamerika. Nach dem Buch „Pejzaż etniczny Europy” (Die ethnische Landschaft Europas) vom Edmund Lewandowski, gibt es folgende europäische Besonderheiten.

 

 

 

Papst: „Der Papst war die wichtigste Autorität, der Disponent der Kaiser- und königlichen Krone und ein säkularer  Monarch. Die Kirche war die erste und wichtigste Gesellschaftsrealität.“ Diese Kirche hinterließ Spuren von  Hierarchie und das Gefühl der Menschen, den Gesetzen und der Rechtsprechung derjenigen zu unterliegen, „die in den reichen liturgischen Gewändern paradierten und gebildet sind“.

Feudalismus: ein hierarchisches System der individuellen Abhängigkeit und des „feudalen Gestus und Anspruchs“.

Stände: „Zwischen Himmel und Erde herrschte eine klare Übereinstimmung: ein Gott in drei Personen –  eine Gesellschaft in drei Ständen“ (die Geistlichkeit, Ritterstand und Bauerstand).

Absolutismus:  Der klassischer und aufgeklärter Absolutismus.

Nationalbewusstsein:  Bewusstsein der kulturellen und sprachlichen Andersartigkeit.

Missionierung:   Die Verpflichtung zur Missionierung der restlichen Welt.

Grenzen:  Kampf um die Binnengrenzen in Europa und außerhalb in den Kolonien.

Diese erwähnten europäischen Eigenschaften zeigen einen gravierenden Unterschied zur Nordamerika. Uns Europäer zeichnen im Vergleich zu der Neuen Welt folgende Eigenschaften aus:

hierarchisches Denken

Abgrenzung nach unten,

höfischer Gestus und Gespreiztheit, prunkvolles Verhalten,

Herrschaftsallüren (nicht mit Machtanspruch zu verwechseln),

Belehrendes Gehabe,

missionarische Kampfbereitschaft.

Schuldkultur christlichen Ursprungs, die damit fruchtet, dass Fehlern mit der Suche nach dem Schuldigen diskutiert werden und nicht mit der Fehleranalyse.

 

Dieses Denken und Verhalten zeigt eine stark ausgeprägte Achse von Oben nach Unten, von herrschen und beherrschen, von besser und schlechter, von „Du gehörst nicht hierher“. In so einer Denktradition tut sich das Feedback schwer – sowohl beim fairen Feedbackgeben wie auch einem offenen Feedback nehmen.

Ein durchschnittlicher Amerikaner nimmt das Feedback anders entgegen, weil:

Der Feedbacknehmer (FN) es als eine Möglichkeit auffasst, besser und effizienter am Erfolg zu arbeiten. Und der Feedbackgeber (FG) benutzt das Feedback nicht, um sich hierarchisch zu profilieren und positionieren oder sein Feedback als ein Exempel an dem FN zu statuieren.

Die praktische Orientierung der Amerikaner hilft dem FN, im Feedback die Chance einer Verhaltens- und Handlungskorrektur zu sehen. Und das berühmte „doing“ statt „being“ begrenzt auch den FG, seine Macht dem FN spüren zu lassen und sich selbst zur Schau zu stellen.

Die Selbstverantwortung ist nicht nur ein Ansporn für den FN. Es ist auch ein Zaun, der dem FG nicht erlaubt, eine entwertende Kommunikation zu betreiben.

Das Bedürfnis nach einem guten Selbstbild ist für den Amerikaner so selbstverständlich, dass er als FG dafür sorgt, dieses Bild auch beim FN nicht zu zerstören.

Es bleibt die Frage, welche Persönlichkeitseigenschaften wir in Europa entwickeln sollte, um sowohl ein guter Feedback-Geber als auch ein guter Feedback-Nehmer zu sein. Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, was wir von der Idee der Gleichheit, Selbstverantwortung, Selbstbeherrschung sowie auch der Sorge um das Gesicht des Feedback-Nehmers wirklich halten. Ohne diese Persönlichkeitseigenschaften kann man – meiner Meinung nach – nicht von Feedback sprechen.

 

Im nächsten Aufsatz: „Ohne Feedback keine Entwicklung. Warum brauchen wir eine Feedbackkultur?”

[1] Aus dem Buch Die Kunst der Kommunikation von Willi Lambert
[2] Aus dem Buch Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation, Band 2; Beitrag zu Nordamerika