Da zurzeit viele meiner Bekannten und Freunde sich um die „polnische Demokratie“ Sorgen machen, sehe ich mich veranlasst, einige Anmerkungen zu dem Artikel von Herrn Bartosz Wieliński mit dem Titel „Bitte nicht schweigen“ (SZ vom 09./10.01) zu schreiben. Gleich zu Anfang ein wichtiger Hinweis: Ich bin keine Sympathisantin – weder von PiS noch von PO.
Als Erstes stellt sich für mich die Frage: Welches Fundament muss die Demokratie haben, damit sie funktioniert und gute Früchte trägt?
Meiner Ansicht nach braucht die Demokratie eine Grundanständigkeit, Pragmatismus und kritische Realitätskontrolle, die Reflexion des eigenen Tuns und nicht zuletzt Scham und ein persönliches ethisches Fundament, ferner politische Kompetenz und intellektuelle Demut. Sie bedarf also einer guten politischen Kultur.
Die politische Kultur ist in der Kommunikationskultur der Politiker sichtbar. Das Wort Kommunikation kommt vom lateinischen Wort „communicare“ und bedeutet die Erlaubnis zur Teilnahme, zur Verbindung. Dieser Begriff ist verwandt mit dem lateinischen Wort „communio“ und bedeutet „Gemeinschaft“. Also könnte man eigentlich sagen, dass die Kommunikationskultur die Art ist, wie der Informationsfluss gepflegt wird, und dass es ihr Ziel ist, die Gemeinschaft zu fördern und zu bilden. Aber warum ist es so schwer im polnischen öffentlichen Leben gemeinschaftlich miteinander umzugehen? Dafür gibt es mehrere Gründe. Hier nur ein paar Aspekte – die meiner Ansicht nach –die polnische Kommunikation erklären.
Herr Wieliński hat Recht, wenn er die Kommunikationskultur der PiS kritisiert, aber anständigerweise müsste er auch über die Kommunikationsart der PO sprechen, über die Arroganz, den Hochmut und die primitive und vulgäre Ausdrucksweise der PO-Politiker (Beispiel die Abhör-Affären).
Herr Wieliński hat auch Recht, wenn er davon spricht, dass PiS die Erinnerung an das Leid des polnischen Volkes während des II. Weltkrieges instrumentalisiert. An dieser Stelle ist es notwendig, auf die polnische Geschichte zu verweisen, weil diese die polnische Kultur geprägt hat. Und weil sie im HIER und JETZT auf die Qualität der polnischen Kommunikation Einfluss hat.
Seit den Zeiten der Teilungen war es das Hauptziel des polnischen gesprochenen Wortes, den Geist des Patriotismus in der Nation zu erzeugen und zu erhalten, was letztendlich auch einen Einfluss auf die verwendeten Argumentationstechniken hatte, in denen es mehr um die Rührung des Herzens als um einfache Anweisung und klare Argumentation ging. Vielleicht ist deshalb die polnische Kommunikation in vielerlei Hinsicht affektiver als die deutsche. Auf jeden Fall trifft sie „das Herz“ des Gesprächspartners schneller als seinen Verstand. In den letzten 300 Jahren der polnischen Geschichte – von dem „Liberum Veto“ angefangen, über die Teilungen, die mit Aufständen durchflochten waren, bis zum II. Weltkrieg und die Zeit des Kommunismus, die wieder mit Streiks gespickt war – haben alle Polen immer wieder ein und dieselbe Frage gestellt: Auf welcher Seite bist Du?
Und dieser ständige Abgleich erzeugte das polnische Denken: Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns! Dies „produzierte“ nicht nur die Bereitschaft der Polen zu Heldentaten, sondern auch einen „kämpferischen“ Stil der Kommunikation. Vielleicht lieben die Polen deswegen bis heute die Polemiken. Vielleicht führte diese Erfahrung auch zu dem „barrikadenhaften“ Stil vieler polnische Redner und Reden?
Auch die Erfahrung der fremden – also nicht gewollten und nicht gewählten – Herrschaft über 200 Jahre hat die Polen gelehrt, der offiziellen Macht nicht zu vertrauen – und damit auch nicht dem Recht, das diese Regierung erlassen hat. Daher schenkte man auch im sozio-politischen Leben den „familiären Verbindungen“ (um nur auf das Wort der „Vetternwirtschaft“ hinzuweisen) mehr Vertrauen. Und vielleicht ist dies auch die Erklärung für die Kommunikation von Lügen und Ausflüchten?
Vielleicht sollten die Polen erst einmal eine „polnische Gesellschaft“ suchen und finden, in der Platz für Andersdenkende und Anderslebende wäre? Denn es ist die Gesellschaft, die die Kommunikation sucht. Die Nation sucht Abgrenzung und Eigenart. Das rücksichtslose Fahren in Polen ist ein Beweis dafür, dass das Handeln im Dienste der Gesellschaft in Polen noch nicht gelebt wird.
Es stimmt auch, dass viele Polen bis heute eine romantisch verklärte Geschichtswahrnehmung pflegen. Aber es ist auch so, dass der II. Weltkrieg für die polnischen Schriftsteller und Poeten des XX. Jahrhunderts eine zentrale Bedeutung hatte – nicht um sich an den Deutschen zu rächen, sondern wegen des allgegenwärtigen Schmerzes, den dieser Krieg in Polen hinterlassen hat. Und wenn heute die polnischen Schüler die Gedichten von Krzysztof Kamil Baczynski (Krzysztof Kamil Baczyński war ein vielversprechender polnische Dichter, der im Warschauer Aufstand im Alter von 23 Jahren fiel) lesen und weiterhin erfahren, dass K. K. Baczyński und seine Frau Barbara im Warschauer Aufstand ihr Leben gelassen haben, dann wird der Mythos vom polnischen Romeo und seiner Julia geboren. Hinzu kommt, dass die Schüler „diesen Stoff“ auch in einer Entwicklungsperiode durchnehmen, in der der Idealismus am höchsten ist (eben zwischen 17 und 19). Dass ein solcher Geschichtsunterricht bis heute „Patrioten“ produziert, die den II. Weltkrieg wie aus einem Twist-off Glas je nach politischem Bedarf herausholen, ist zwar nicht richtig, aber verständlich.
Kurz noch zur Demokratie in Polen, um die meine Freunde so besorgt sind.
Die Menschen gehen in jede Begegnung – auch in die internationale – mit Bildern im Kopf, die für sie als selbstverständlich gelten. D.h. wenn die Deutschen über die Demokratie sprechen, haben sie ein bestimmtes Bild der Demokratie im Kopf. Für einen durchschnittlich gebildeten Deutschen basiert die Demokratie auf der Mündigkeit des Bürgers (auf Polnisch gibt es nicht mal das Wort „mündig“), auf der Fähigkeit, die Tragweite der eigenen Handlung abschätzen zu können, und auf einer gewissen Grundanständigkeit, die man auch „Gesetzestreue“ nennen kann.
Aus dieser Perspektive heraus, gibt es noch keine gelebte Demokratie im postkommunistischen Teil Europas – weil die Bürger dieser Länder diese Begriffe nicht leben. Und die Politiker, genauso wie die Pfarrer, wachsen nicht auf Bäumen, sondern kommen aus einer historisch gewachsenen Mitte heraus.
Der Tenor des Artikels in der SZ ist – meiner Einsicht nach – genauso barrikadenhaft, also am Zerstören des Anderen interessiert, wie die barrikadenhafte Kommunikation von PiS. Es stellt sich für mich die Frage nach der politischen Ethik und Moral des Autors, wenn er in der deutschen Presse die deutschen Politiker darum bittet – verzeihen Sie mir den folgenden Vergleich – in Polen „einzumarschieren“, um den polnischen PiS Politikern diesmal nur die Leviten zu lesen.
Noch etwas zu der Angst der Deutschen vor der Radikalisierung des polnischen politischen Lebens. Die Rechtsradikalität ist in Polen nicht nur national, sondern auch katholisch geprägt, und man sollte nicht vergessen, dass die polnische Katholische Kirche nicht das Deutsche Naziregime ist. Liebe deutsche Freunde und Bekannte, Sie brauchen keine Angst zu haben: Die polnische Rechte bringt keinen Hitler hervor. Und nur am Rande: Ohne die polnische katholische Kirche wäre weder die Solidarność noch der Artikel von Herrn Wieliński möglich.
Barbara Dudkowski
Schwandorf, 16.01.2016